Gildenhaus Gespräch 2016

Gildenhaus Gespräch 2016

Am Dienstag, 16.02.2016, 18:00 h, fand ein sehr spannendes Gildenhaus Gespräch statt:
„Warum betrifft das Kartellrecht jeden Angestellten?“

Referenten:
Andreas Mundt, Präsident, Bundeskartellamt, (Federal Cartel Office)
• Dr. Olaf Christiansen, LL.M., Senior Vice President, Bertelsmann SE & Co. KGaA

Moderator:
Thomas Seim, Chefredakteur, Neue Westfälische GmbH

Ort: Industrie- und Handelskammer zu Bielefeld, Elsa-Brändström-Str. 1 – 3, 33602 Bielefeld

Andreas Mundt, Präsident, Bundeskartellamt Andreas Mundt, Präsident, Bundeskartellamt_ Delius Delius_Marianne Thomann-Stahl, Regierungspräsidentin Dr. Olaf Christiansen, Bertelsmann SE & Co. KGaA Gäste gäste_ Referenten Referenten_

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Redemanuskript Dr. Olaf Christiansen – Es gilt das gesprochene Wort.

Herr Mundt hat die Bedeutung des Wettbewerbsprinzips für die soziale Marktwirtschaft sehr deutlich gemacht. Das teile ich uneingeschränkt. Nur bei unbeeinträchtigtem Wettbewerb ist sichergestellt, dass die Kunden die besten Produkte zu günstigen Preisen erhalten können. Davon profitieren wir alle.

Wie das so ist mit hehren Ansprüchen und Motiven, man muss sich dennoch fragen, wie man dem Ganzen gerecht werden kann.

Was muss ich tun, um mich kartellrechtskonform zu verhalten? Denn: Kartellrecht betrifft auch jeden Angestellten!

Kartellrecht beinhaltet viele Risiken. Das gilt für die Fusionskontrolle, falls ein Unternehmenserwerb oder die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens nicht genehmigt werden sollte, genauso wie für das Kartellverbot oder für Verstöße gegen das Missbrauchsverbot, das marktbeherrschende Unternehmen in ihrem Verhaltensspielraum einschränkt.

Allein bei der Kartellverfolgung hat das Bundeskartellamt in 2015 Bußgelder in Höhe von € 208 Mio. verhängt.

Immer wieder kommen Diskussionen auf, zuletzt von der Monopolkommission, Kartellrechtsverstö-ße auch strafrechtlich zu ahnden – also ggf. mit Gefängnisstrafen. Davon halte ich nichts, die Ab-schreckungswirkung ist auch so groß genug und ein Mehr erscheint mir unverhältnismäßig:

Kartellverstöße werden in Deutschland als Ordnungswidrigkeiten geahndet – im Mittelpunkt stehen, wie bei Verkehrsverstößen, die handelnden Personen, die neben den Unternehmen auch persönlich bebußt werden – bis zu einer Obergrenze von € 1 Mio.

Bei Unternehmen können die Bußgelder bis zu 10% des Gruppenumsatzes betragen – auch das ist eine Obergrenze, bis dahin hat die Behörde allerdings viel Spielraum, um dem Verstoß und der Leistungsfähigkeit der Unternehmen Rechnung zu tragen.

Doch auch wenn man einen Bußgeldscheid erhalten hat, ist es noch nicht getan. Danach geht es weiter: Geschädigte Kunden, Lieferanten, Wettbewerber u.a. können zusätzlich noch Schadener-satzansprüche geltend machen.

All das bindet Ressourcen und kostet sehr viel Geld – für Anwälte, Gutachter etc. und natürlich für den Schadenersatz, der am Ende zugesprochen wird.

Die Risiken sind hoch und Compliance-Anstrengungen stehen für Unternehmen auf der Ta-gesordnung!

Grundsätzlich gehört die Arbeit von Wettbewerbsbehörden zum Bereich der Eingriffsverwaltung. Nur mit guten Gründen darf die Behörde einschreiten. Leider gerät das manchmal in Vergessenheit.
Was kann also passieren?

Fangen wir mit der Fusionskontrolle an. In diesem Bereich, der ab gewissen Unternehmensgrößen greift, kann es passieren, dass das Vorhaben, der Unternehmenszusammenschluss, untersagt wird.

Das Gesetz sagt: „Ein Zusammenschluss, durch den wirksamer Wettbewerb erheblich behindert würde, insbesondere von dem zu erwarten ist, dass er eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt, ist vom Bundeskartellamt zu untersagen.“

Ausgangspunkt ist hierbei stets die Betrachtung des betroffenen Marktes. Welcher Markt ist das, wie wird dieser definiert?

Es gibt eine Reihe von Konzepten über die Marktabgrenzung und manchmal auch lustige Ergebnis-se.

So wird ein eigenständiger Markt für die Herstellung von Sauermilchkäse angenommen – andere Käsesorten gehören anderen Märkten an.

Gerade in analogen Märkten existieren viele tradierte und sehr enge Marktdefinitionen, die nur selten aufgegeben werden, egal was drumherum passiert.

So soll es beispielsweise im Segment von Frauenzeitschriften fünf verschiedene Lesermärkte ge-ben, deren Unterschiede sich am Kiosk nicht so ohne weiteres ausmachen lassen: Yellow-Press Zeitschriften, Einfach-Frauenzeitschriften, Qualitäts-Frauenzeitschriften, Premium-Frauenzeitschriften und Life Style Magazine. Und überall ist manchmal dieselbe Person auf dem Titelbild, Prinz Albert o.ä. …

Auch bei Werbemärkten wird streng nach Gattungen abgegrenzt: Fernsehen, Radio, Zeitungen, Zeitschriften, Online – alles unterschiedlich.

In Digitalmärkten, die man für noch nicht ausgereift hält, sieht es dagegen anders aus: Partnerportal ist gleich Partnerportal. Google durfte Doubleclick und Facebook durfte Whatsapp übernehmen. Als wären das keine Weichenstellungen!

Als dann allerdings deutsche private Fernsehsender, die in Märkten mit tradierten Marktdefinitionen unterwegs sind, eine Online-Plattform schaffen wollten, die den Wettbewerb mit Google/Youtube, Netflix, Apple, Amazon aufnehmen sollte, war das natürlich zu viel des Guten und wurde untersagt.

All das zeigt: Bei der Betrachtung und Abgrenzung von Märkten werden rasante technische Ent-wicklungen erst spät gewürdigt, es wird lange an bestehenden Marktdefinitionen festgehalten und der Konvergenz gerade im Medienbereich nicht ausreichend Rechnung getragen. So werden die Großen wie Amazon, Facebook, Google immer größer und können kaum noch eingeholt werden.

Was gibt es noch? Die Missbrauchskontrolle.

Über die Missbrauchskontrolle soll der Ausübung wirtschaftlicher Macht durch marktbeherrschende Unternehmen Einhalt geboten werden.

Auch hier kommt es entscheidend auf die Abgrenzung der betroffenen Märkte an.

Missbrauchskontrolle funktioniert nur dann, wenn sie effektiv ist. Es muss also schnell gehandelt werden. Wenn man das in Brüssel bei der EU-Kommission seit 2010 anhängige und immer noch laufende Missbrauchsverfahren gegen Google betrachtet, kommen Zweifel auf.

Doch das Missbrauchsverbot gilt nicht nur für die ganz Großen, es findet auch schon früher Anwen-dung: Wenn Sie auf dem Markt, auf dem Sie tätig sind, über hohe Marktanteile verfügen, sollten Sie sich darüber Gedanken machen und insbesondere auch Ihr Rabattmodell einer rechtlichen Prüfung unterziehen.

Kommen wir schließlich zum Kartellverbot. Hier lauern die größten Risiken für Mitarbeiter in Unternehmen.

Das deutsche Gesetz sagt: „Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unterneh-mensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Ein-schränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, sind verboten.“

Das ist sehr weit formuliert und erfasst sowohl die Beziehungen zwischen Wettbewerbern, den sog. Horizontalbereich, als auch – vertikal – die Beziehungen zu Kunden und Lieferanten.

Hinzu kommt: Unternehmen müssen die Rechtslage eigenständig einschätzen oder entspre-chenden Rat einholen. Das betrifft uns alle.

Es ist klar, dass Hardcore-Verstöße verboten sind – Preisabsprachen und Marktaufteilungen, Boy-kotte und Submissionsabsprachen (Abstimmungen von Geboten bei Ausschreibungen) sind tabu.

Hier gibt es keine Entschuldigungen und keine Aussicht auf Verteidigung. Man muss mit der Behör-de kooperieren, wenn solche Verstöße ans Tageslicht kommen, damit das Bußgeld nicht zu hoch wird. Denn: in diesen Hardcore-Bereichen werden die höchsten Bußgelder verhängt!

Nicht alles, was Wettbewerber miteinander tun, ist verboten. Es ist dennoch stets Vorsicht geboten.

Es gibt Bereiche, in denen Unternehmen legal kooperieren können – seien es kleine und mittlere Unternehmen in der Nachfrage nach Einstandsgütern oder Kooperationen, die technische Neue-rungen hervorbringen oder andere Dinge, die ein Unternehmen alleine nicht bewerkstelligen könnte.

Wichtig ist, dass man hierbei stets Rechtsrat einholt und nicht blauäugig darauf hofft, dass es schon gut gehen wird. „Die anderen machen es doch auch.“ reicht als Verteidigung nicht aus.

Was gibt es noch?

Neben dem Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen sind auch abgestimmte Verhal-tensweisen verboten – das ist weniger als eine Vereinbarung (keine Willensübereinkunft nötig), dennoch kommt es zu gleichförmigem Agieren, da es zuvor einen Kontakt gegeben hat.

In Compliance-Schulungen löst immer wieder Erstaunen aus, dass auch ein Austausch von wett-bewerblich sensiblen Informationen, wie Preisen, Planungen, Geschäftsentwicklungen, Details zu Kundenbeziehungen o.ä. wettbewerbsbeschränkend und daher verboten ist.

Es gibt so viele Gelegenheiten Wettbewerber zu treffen: In Gremiensitzungen, auf Messen, in Ver-bänden, in Kneipen, in Cafés etc.

Es ist nicht verboten dorthin zu gehen, man sollte allerdings sehr vorsichtig sein und alle wettbe-werblich sensiblen Themen meiden, sich nicht an Gesprächen dieser Art beteiligen und schon gar nicht nur passiv dabeistehen, wenn andere sich über solche Themen austauschen.

Stattdessen sollten Sie protestieren und weggehen. Das mag Ihnen nicht gefallen, schützt aber vor ungeahnten Risiken.

Was tun, wenn jemand Ihnen ungefragt wettbewerblich sensible Dinge zukommen lässt? Auch dann nicht einfach annehmen, sondern nach Möglichkeit zurückschicken, protestieren und sich rechtlich beraten lassen.

Klingt alles unangenehm – das ist es auch, aber noch lange nicht so unangenehm, wie es wäre, wenn Sie (auch ungewollt) einen Kartellverstoß begehen, der katastrophale Folgen für Sie selber und das Unternehmen haben könnte.

Es gibt auch weitere Bereiche, in denen es zur unzulässigen Preisgabe von wettbewerblich sensiblen Informationen kommen kann: Das gilt namentlich bei der Vorbereitung eines Unternehmenskaufs in der Due Diligence – in erster Linie bei horizontalen Zusammenschlüssen, sprich wenn sich Wettbewerber zusammenschließen. Auch hier muss man vorsichtig sein und darf nicht einfach alles offenlegen.

Informationen müssen je nach Prozessfortschritt abgeschichtet werden und die „heißen Dokumente“ (Kundenverträge etc.) sollten nur einem eng eingegrenzten Personenkreis (ohne Operative) zu-gänglich sein – Clean Team mit gesonderten Vertraulichkeitsanforderungen.

Im Ergebnis heißt das:

Compliance-Anstrengungen im Kartellrecht haben eine große Bedeutung. Mitarbeiter sollten für Kartellrecht sensibilisiert werden und wissen, was gar nicht geht und wann man jemanden fragen muss.

Niemand steht alleine da: Die Rechtsabteilung steht für Beratung immer zur Verfügung. Wir wollen, dass keine Kartellverstöße begangen werden!